Gestern fand in Gelsenkirchen die Fachtagung der Aktion Mensch zum Thema Barrierefreiheit statt, die von über 300, fast nur geladenen Gästen, besucht war. Man muss dazu sagen, dass man, wenn man sich mit dem Thema beruflich beschäftigt, fast automatisch eingeladen wurde.
So fuhr ich gestern also nach Gelsenkirchen in den Wissenschaftspark. Ich habe ein gewisses Bild vom Ruhrpott, aus den Fenstern des Parks sah man aber eigentlich nur grün. Das war auf der Fahrt mit der Bahn etwas anders. Ich hatte Schlimmeres befürchtet ;)
Nach der Begrüßungsrede durch den Moderator Ingolf Baur der als Moderator des Zukunftsmagazins nano auf 3sat bekannt ist, wurden noch Umfrageergebnisse einer Onlineerhebung veröffentlicht. Dazu leierten die beiden Moderatoren abwechselnd massig Zahlen herunter, verhaspelten sich am Ende an einfachsten Wörtern, weil sie immer schneller wurden, wahrscheinlich selbst merkten, dass Tabellendarstellung von Statistiken einfach auch eine Barriere darstellen ;). Selbst der Moderator Ingolf Baur schloß die Ausführungen dann mit dem Hinweis auf die vielen Zahlen. Die Umfrage ist aber auch im Laufe der Woche online nochmals ausgewertet auf den Seiten von Einfach für Alle zu sehen. Irritiert hatte mich der Satz »Du musst Dich entscheiden Kleines« welches der Moderator als Zitat von Humphrey Bogart wähnte. Ich glaube eher, dass das berühmte Zitat »Schau mir in die Augen Kleines war«.
Erwähnenswert waren noch die überall gebärdenten Übersetzer, die für die vielen Anwesenden Gehörgeschädigten, alles Gesagte übersetzten.
Jetzt sollten, nach einer kleinen Kaffeepause, die Workshops beginnen. Eines vorweg, entweder stelle ich zu hohe Ansprüche, oder ich hatte einfach wieder die Workshops ausgesucht, die den wenigsten Nutzen brachten. Zumindest für mich selbst. Es waren, »8 – Hübsch oder hässlich. Welche Anforderungen muss barrierefreies Design erfüllen« und »12 – Auf Heller und Pfennig. Warum ist Barrierefreiheit wirtschaftlich«.
Workshop 8 – Hübsch oder Hässlich. Welche Anforderungen muss barrierefreies Design erfüllen?
Moderatoren und Experten:
- Moderator: Steffen Büffel, Social-Media-Experte
- Experte: Gerrit van Aaken, Freier Designer
- Experte: Markus Angermeier, Freier Kreativdirektor und Berater
- Experte: Jo Spelbrink, Multimedia-Designer
Der Workshop, von dem ich mir ziemlich viel versprach, lief am Ende leider darauf hinaus, dass die Diskussion um Bildschirmauflösungen, Textversionen etc geführt wurden, und nicht auf die eigentlichen Herausforderungen der neuen Ausgabegeräte und der Möglichkeiten des flexiblen Layouts eingegangen wurde. Ich hatte mir das erhofft. Nachdem dann noch ein Experte die Printdesigner als keine guten Webdesigner bezeichnet hatte, fühlten sich einige anwesende ehemaligen Printdesigner dann auch noch genötigt sich zu verteidigen.
Ansatzweise versuchte Jo Spelbrink, der sich mittels eines Gebärdenübersetzers verständigte, Ideen für ein neues Design, das sich am Nutzer und dem Nutzen orientieren soll und nicht am Designer, zu vermitteln. Man solle versuchen das Ganze ganzheitlich zu sehen. Seperation von Inhalten sollte es nach Jo auch nicht mehr geben, jeder soll die Möglichkeit haben so viel wie möglich zugänglich gemacht zu bekommen.
Im Publikum zeigte sich eine große Menge an fundiertem Halbwissen, was sich an Äusserungen zu der viel zu teueren Umsetzung und der Unfähigkeit der eigenen Software (CMS) barrierefreie Webseiten zu gestalten, zeigte. Aber auch die Experten leisteten sich Schnitzer, indem sie CSS Attribute und deren Werte als Befehle, oder standardkonform als fast schon barrierefrei bezeichneten. Schrecklich. Ein einzelnes Bild in eine XHMTL Seite eingebunden ist schnell standardkonform, wenn darauf aber Text steht und es kein ALT
Attribut gibt, dann ist die Seite standardkonform, aber voller Barrieren. Das selbe gilt für Tabellenlayouts.
Ich bin dann etwas entäuscht in die Mittagspause und wollte mich auch nicht an der Diskussion beteiligen, da den Anwesenden Zuhörern zum großen Teil wahrscheinlich die Möglichkeit ein designloses HTML Gerüst mittels CSS vollständig zu gestalten, und vor allem mittels verschiedener Stylesheets, für andere Medien zu optimieren, absolut fremd ist. Diejenigen die es kennen, hätten dann nur etwas erfahren was sie sowieso wissen. Es war irgendwie eine ähnliche Diskussion wie die an früheren Arbeitsplätzen, als ich um 2002 herum den Leuten versuchte die Vorzüge der Trennung von HTML und Design zu erläutern.
Workshop 12 – Auf Heller und Pfennig. Warum ist Barrierefreiheit wirtschaftlich?
Moderatoren und Experten:
- Moderator: Arne Ohlsen, enteraktiv Gesellschaft für barrierefreie IT-Lösungen mbH
- Experte: Dr. Juris Ezernieks, Senior Manager Communication, Pfizer
- Experte: Michael Heinen, Abteilungsdirektor E-Finance der Postbank
- Experte: Dipl.-Kfm. Steffen Puhl, Prjektmitarbeiter an der Proffesur für BWL und Witschaftsinformatik, Justus-Liebig-Universität Gießen.
In diesem recht kleinen Workshop hoffte ich dann endlich einmal Argumente für barrierefreie Webseiten zu hören, die mir nicht schon selbst aus meiner täglichen Arbeit bekannt sind und die den Kunden oder Gegenüber überzeugen können. Da aber alle drei Experten die These vertraten, dass sich Barrierefreiheit lohnt, fehlten kontroverse Diskussionen. Ich hatte auch das Gefühl, dass im Publikum nur Leute saßen, die verstanden, dass sich Barrierefreiheit lohnt, daher kam es hier auch zu keiner Diskussion und der Moderator musste sich zwei Stunden lang durch die verschiedenen Stationen der Umsetzung der Bieneprämierten Portale von Pfizer und der Postbank hangeln. Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Gießen, stellte noch einen Teil seiner Doktorarbeit vor, in der er sich mit der Wirtschaftlichkeit von barrierearmen Webseiten beschäftigte. Das wahrscheinlich einzige Argument, das man aus dem Workshop mitnehmen konnte ist, dass einem E-Commerce Webseiten Betreiber eine 3% Umsatzsteigerung sicherlich gelegen kommt, ein markenbetonter Webauftritt einer großen Marke aber sicherlich bei einer 3% höheren Besucherzahl keinerlei Bestrebungen an den Tag legen wird, die Seiten absolut zugänglich zu gestalten.
Fazit dieses Workshops: Ich weiß jetzt, dass es sich für Pfizer und die Postbank gelohnt hat. Ich dachte mir das aber auch schon vorher. Mehr nicht.
Mein Kollege, der zwei andere Workshops besuchte, war durchweg zufrieden, vielleicht hatte ich wirklich nur Pech. Die Workshops werden in den nächsten Tagen auch Online als Film zu sehen sein. Dann kann sich jeder selbst ein Bild machen.
Anbei noch ein paar mitgebrachte Bilder:
Abschließend möchte ich mich noch bei der Deutschen Bahn bedanken, die mir durch defekte Lokomotive und dadurch ausgefallenem IC von Essen nach Mainz eine Odysee über Düsseldorf, Frankfurt Flughafen, Regionalbahnhof Flughafen und dann in der S-Bahn nach Mainz bescherte. Ächz.
Kommentare
9 Antworten zu „Tagung einfach für alle in Gelsenkirchen“
danke für das feedback. kleine verteidigung: ein fehlendes oder sinnloses alt-attribut zu einem bild oder ein tabellenlayout mag unter umständen einen validator passieren, konform im tieferen sinne des standards ist es dadurch allerdings nicht. ich denke das sollte man nicht verwechseln. wenn das nicht klar wurde, war das sicher ein versäumnis. spannend fand ich im fazit, dass den, zumindest in der bitv, ungern gesehenen parallelversionen wieder eine chance eingeräumt wurde. technisch gut gemacht und sinnvoll auf einer seite kommuniziert und intergrativ erreichbar gemacht finde ich das nach dem workshop überdenkenswert.
Hallo Kosmar, man hat halt auch bemerkt, dass ihr das nicht wirklich oft macht. Das war dann, bei dem Anspruch den die Tagung hatte, einfach ein bisschen dünn. Im Berufsumfeld seit ihr sicherlich tolle Kerle ;)
ja, es scheinen sich einfach immer noch zuwenig designer damit auszukennen. da mußte man quasi uns nehmen ;)
Als Mitvorbereiter und -organisator bin ich natürlich befangen, aber mir ist völlig unplausibel wie die Aussagen „mir fehlte die kontroverse Diskussion“ und „ich wollte mich nicht an der Diskussion beteiligen, weil die anderen so doof waren“ zusammengehen.
Dies vor allem nicht bei dem Ziel der Tagung, Konzepte und Zukunftsbilder zu diskutieren. Außerdem stand ja jedem Workshop gewissermaßen als Bedienungshinweis voran, zu diskutieren, welche konkreten Projekte momentan bereits umgesetzt werden, welche zusätzlich noch sinnvoll wären und was Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Internetschaffende dafür tun können, um diese anzustoßen und umzusetzen.
Und eine Korrektur: Die Gäste waren ausschließlich geladen, und automatisch eingeladen wurde niemand.
Ich habe nirgendwo geschrieben, dass jemand doof war. Und die Einladung war natürlich persönlich, aber dennoch automatisiert, da bei XING gezielt nach Leuten gesucht worden war, die sich mit dem Thema beschäftigen. ;o) Wenn man jahrelang zum Thema mit immer wieder den selben Argumenten konfrontiert wurde, dann hat man irgendwann keine Lust mehr auf diese Diskussion. Auch wenn die Veranstalter gerade dies nicht wollten, vielleicht wäre es ja gut gewesen, wenn man den Textseiten und mehrere Versionene Verfechtern mal wieder gegen geredet hätte, es wäre nur erfahrungsgemäß für die Katz gewesen.
„gesundes Halbwissen“ wäre das richtige Zitat gewesen. Und wenn alles, was ich unter zu Hilfenahme eines Computers tue als automatisiert gilt, dann gilt das natürlich auch für die Xing Recherche, die im Gesamtkontext der Recherchearbeit allerdings nur einen kleinen Teil ausgemacht hat. Ach ja, die telefonische Recherche ist dann natürlich auch automatisiert gewesen. Wie dem auch sei: wenn „erfahrungsgemäß“ „alles für die Katz“ ist, muss man eine Einladung auch nicht annehmen.
Aha, da fühlt sich jemand auf den Schlips getreten. Sie drehen mir die Worte im Mund rum. Ich habe geschrieben, dass es erfahrungsgemäß für die Katz ist, Leuten die heute noch z.B. über Textversionen und doppelten Inhalt nachdenken, etwas erklären zu versuchen. Scheint nicht einfach zu sein. Ich _hatte_ mir im Vorfeld versprochen, dass es _mich_ weiterbringen würde, daher bin ich auch zur Tagung. Ich hatte auch geschrieben, dass die anderen Kollegen positiv zu berichten hatten. Wenn Sie sich aber an der wenigen Kritik aufhängen, tut mir das für Sie leid, man muss auch damit leben können, dass Menschen Kritik üben.
Nö, auf den Schlips fühl ich mich nicht getreten und ich begrüße Ihre Kritik in Teilen durchaus. Was mich etwas stört, ist die leicht abfällige Tonalität. Etwas seltsam finde ich aber aber wenn Kritik, die am besten während der Tagung geäußert worden wäre, eben weil sie zumindest die anderen Teilnehmer hätte weiterbringen können, erst im Nachhinein geäußert wird. Das halte ich für eine verpasste Chance.
Ich hatte durchaus Kritik während der Tagung geübt. Nicht in der Diskussion, da wäre das noch kontraproduktiver gewesen, den Anwesenden zu sagen, dass dies so nichts bringt. In der privat geführten Diskussion beim Mittagessen habe ich dann mit anderen Teilnehmern, die mir vorher nicht bekannt waren, es war auch ein Mitarbeiter eines Ministeriums dabei, gerade über diesen einen Workshop diskutiert, bei dem die Teilnehmer einfach eine völlig andere Vorstellung hatten, was darin geboten wird, als das, worüber dann eigentlich diskutiert wurde. Interessant vor allem dabei, weil der Ministeriumsmitarbeiter, als an einer Ausschreibung Beteiligter, sich als „Kunde“ informieren wollte und selbst er es nicht erfüllend fand. Auch er hatte sich mehr Designmöglichkeiten vorgestellt und nicht eine grundlegende Diskussion über Darstellungstechniken, die meiner Meinung nach nicht zielführend ist.
Das einzige was man mir vorwerfen kann, war, dass ich es nicht direkt während der Veranstaltung gesagt habe, irgendwie hatte ich aber gehofft, dass dies ein anderer tun würde. Ansatzweise gab es das auch. Darauf wurde abere nicht wirklich eingegangen.